„Unsere Erwartungen an unsere Kinder werden (hoffentlich) enttäuscht!“ Henning Ernst
21.03.23, NDR 1 - Du sollst dir kein Bildnis machen (von deinen Kindern)
In Dänemark sind im letzten Jahr noch gerade 7 Kinder mit Down-Syndrom geboren worden. Seit es durch einen einfachen Test feststellbar ist, ob ein Kind Down-Syndrom hat, kommen kaum noch Menschen mit dieser Behinderung zur Welt. Heute ist der Welt-Down-Syndrom-Tag.
Ich selbst habe ein Kind mit dieser Behinderung. Wir wussten es nicht vorher, und wir wollten es auch nicht wissen. Dieses Wissen stellt werdende Eltern heute vor eine moralisch belastende Entscheidung. Das Wissen über die Diagnose Down-Syndrom führt viele Paare in eine tiefe Krise – darüber wird kaum gesprochen. Angst, nicht zu wissen, was auf einen zukommt, Selbstmitleid, Trauer und Scham spielen dabei eine Rolle. Scham darüber, von der Diagnose so geschockt zu sein, obwohl man doch so aufgeschlossen ist gegenüber Menschen mit Behinderungen und doch gleichzeitig denkt: Das eigene Kind bitte nicht!?
Ich habe getrauert um meine Vorstellung, die ich mir unbewusst gemacht habe von meinem 2. Sohn. „Du sollst dir kein Bildnis machen“, heißt eines der ältesten Gebote der Bibel. – Ich habe mich von dem Bild über die Entwicklung meines Sohnes verabschiedet und von vielen anderen Erwartungen, die in meinem Kopf waren.
Mein Terminkalender ist vielleicht etwas voller als der bei anderen Vätern, doch ich wachse täglich an der stürmischen Liebe unseres nicht so normalen Kindes! Der straffreie Schwangerschaftsabbruch ist eine große Errungenschaft. Die gesellschaftliche Erwartung allerdings, sich gegen oder für ein behindertes Kind entscheiden zu müssen, überfordert werdende Mütter wie Väter. Ich finde: Wir sollten Elternschaft vielmehr als eine spirituelle Aufgabe begreifen, die unter anderem darin besteht, das Bildnis, das man sich vom eigenen Kinde gemacht hat, loszulassen!
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