Ein Männerpastor muss durchatmen
Diesen Satz musste ich oft wiederholen in den Wochen vor meinem Kuraufenthalt. Meine Umgebung reagierte mit: „Du gehst zu Kur!?...Aha!?“, oder, „Du müsstest doch derjenige sein, der anderen sagen kann, wie man Arbeit, Familie und sich selbst ins Gleichgewicht bringt, oder?“ Aber ist es nicht so: für andere zu sorgen ist leichter als für sich selbst!?
Und dann sitze ich im Zug nach Berchtesgaden zu einer Vorsorgekur nur für Männer. Ich lese die letzten Nachrichten, spüre wie gut es tut, endlich einfach loslassen zu können. Langsam beginne ich abzuschalten, die Voralpen tauchen vor mir auf.
Nur eine Kureinrichtung für Männer in Deutschland
Und plötzlich sitze ich mit 40 anderen Männern aus allen Teilen Deutschlands zusammen. Die Kurleitung beginnt mit der Vorstellungsrunde. Nur wenige sagen, weshalb sie da sind, ein Pflegefall in der Familie, der Tod eines Angehörigen, die meist aber sprechen hier nur allgemein von Belastungen oder der Gesundheit.
Die Ärzte und Psychologinnen fragen, „Was hat Sie hergebracht, und was brauchen Sie?“ Wir bekommen die Aufgabe, in eine Liste einzutragen, was Energie zieht und was einem Energie gibt. Mir fallen, Gott sei Dank, genug Dinge ein, die mich immer wieder aufrichten: Das gemeinsame Essen zuhause in einer Atmosphäre, die geprägt ist von Witz und Wertschätzung; die guten Freundschaften und wärmenden Beziehungen; die Inspiration aus Dichtung und Literatur; das Musikhören und Schlagzeugspielen; das Licht und die Luft im Wald; das Laufen am Meer.
Also, was ist los, was hat mich so ausgezehrt, dass mein Arzt mir eine Kur verschrieben hat? Sind es die zähen Sitzungen auf Arbeit, sind es die schlechten Nachrichten aus aller Welt, sind es die pflegerischen Herausforderungen zu Hause? Wir Männer untereinander tauschten uns darüber aus und waren uns einig: Man erreicht einen Punkt, an dem die Erschöpfung oder der Eindruck von Sinnlosigkeit Oberhand gewinnt. Gutes und Sinnhaftes dennoch zu erkennen, diese Fähigkeit kommt dann abhanden. Und du siehst nur noch schwarz, es fehlt eine Perspektive!
Nach und nach lernen wir hier zu uns selbst zu finden, ganz individuell mit Sport, Fitnesstraining, Bergtouren, Beratung und Vorträgen. Wichtige Themen werden besprochen: Was brauche ich eigentlich, wo bleibe ich mit meinen Bedürfnissen?
Jeder erkennt in diesen drei Wochen früher oder später, wo die eigenen Baustellen sind, und was getan werden könnte. Es tut gut, Abstand zu bekommen vom eingefahrenen Leben zuhause. Der schwere Nebel lichtet sich, das Gemüt klart auf. Es wundert mich, wie leicht es mir jetzt fällt, knifflige Entscheidungen zu treffen.
Diese Klarheit und diesen Schwung nehme ich mit zurück in meinen Alltag. Die Mischung aus Bewegung und Beratung habe ich schon für die Männerarbeit in ein Konzept verwandelt, bereichert mit lebenswichtigen Fragen wie: Was trägt dich, damit du auch andere tragen kannst?